Kutscher mit Zylinder

Kutscher, he, bist Original,
wenn die Peitsch im Winde singt
dieser Stadt Dein Herz gehört,
die Stimme rau vom Kutschbock dringt -
wie Genius hinter dicken Wänden
Bände in Jahrzehnten füllte,
wie Talent mit zarten Händen
Noten setzte, spielte - fühlte
man zurück sich in der Zeit
als Geistesgrößen diesem Ort
Gepräge gaben - doch nun fort
die Rosse am Geschirre zerr'n,
hoppla, hoppela hopp, meine Herrn.

Kutscher, ho, wettergerbig Gesicht,
übers Jahr bis in den Winter,
rezitierst Du manch Gedicht,
unverkennbar Dein "Grau-Zylinder".
An neuer Stell, der Altvertrauten
erfährt man dann aus Deinem Munde
wie Architekten zeitlos bauten,
wie Künstler - auch in froher Runde -
hier tätig waren, denkend schafften,
und auch der Rat auf hohem Rosse,
dergleichen täte ähneln gern,
doch dies zuweil'n verkommt zur Posse,
meine Herrn !
Meine Herrn,
hoppla, hoppela hopp.

Kutscher, he, ho, ich komm wieder
bringe Zeit mit - endlos lang,
lass mich in der Kutsche nieder
und wir parlier'n dann wieder
bis zum letzten Abgesang.
Meine Herrn, meine Herrn,
hoppla, hoppela hopp.

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Nachfoldender Artikel im Blatt "WeimarLese" abgedruckt

"Hoppla, Hoppla, hopp"

... tönt es sonor über den Marktplatz und hat augenblickliches Hufgetrappel zur Folge.
Die klangvolle Stimme gehört zu einer eindrucksvollen Männergestalt, mit Zylinder,
Kniebundhosen und strammen Waden in blütenweißen Strümpfen; die Hufe zu nicht minder
bemerkenswerten schweren Warmblütern samt einer Kutsche wie aus besten Sissy-Tagen.

Und auch Gunter Grobe, Kutscher aus Leidenschaft, scheint wie aus einer anderen Zeit, wo
die Herren noch die Kopfbedeckung lupften, wenn Sie eine Dame grüßten und der Handkuss
mit leichtem Erröten und verschämten Augenaufschlag entgegengenommen wurde.
Hut gelupft wird noch immer beim Anblick des schönen Geschlechts und säße er nicht perma-
nent auf dem Kutschbock, würde wohl auch noch so manch ein Handkuss für die Weimarer
Damenwelt abfallen.

Man merkt, dass Herr und Gescherr ein eingespieltes Team sind, leicht schaukelnd, wie von
Zauberhand, setzt sich die Kutsche in Bewegung.
Unterdessen, seinen Gästen zugewandt, verfällt Gunter Grobe in einen sprachlichen Singsang
aus weit vergangenen Tagen: altertümlich, geschnörkelt, gespreizt erfährt man von seinem
offenbar nie versiegenden Quell des Wissens was sich linkerhand und rechterhand an Sehens-
würdigkeiten tummelt, gibt sich die historische Prominenz ein Stelldichein.
Schiller, Wieland, Goethe, Anna Amalia, Maria Pawlowna - schier unendlich erscheint die Ket-
te derer, die in Weimar gelebt, Geschichte geschrieben haben oder auch nur profan auf der
Durchreise waren.
Zu jedem alten Gemäuer und halbwegs berühmten Menschen weiß Gunter Grobe etwas zu er-
zählen:
über Johann Sebastian Bach, der zwar Weimar im Knatsch verlassen hatte, aber immerhin zwei
seiner zwanzig Kinder hier zeugte; über den Ginkgo-Baum am Haus der Charlotte von Stein
(Goethe war bekanntlich von beiden angetan) und über das erste mittelalterliche „Doppelhaus"
am Platze, das Cranachhaus.

Doch wer ist dieser Mann, der aussieht wie eine Mischung aus Casanova und Wiener Fiaker-König ?

Gunter Grobe kommt aus der Gastronomie: Studium Gaststätten- und Hotelwesen in Leipzig und
dann Restaurantleiter im Elephant.
Ihm wäre die dortige Bar als Arbeitsplatz zwar lieber gewesen (wegen der „Kohle" die man als
junger Mensch ja so braucht) aber man hatte anscheinend Großes mit ihm vor.
Wenn da nicht sein Mundwerk wäre, welches immer aussprach was er so dachte.
Einem nach dem Munde reden war noch nie seine Stärke, sonst hätte er wohl noch die ein oder an-
dere Stufe der Karriereleiter bis in den gastronomischen Parteihimmel in Berlin erklimmen können.

Stattdessen besann er sich auf das, was ihm vertraut war und er vom Vater ererbt: Der war Landwirt
und Unternehmer, und frei nach dem Motto „Alles Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde",
versuchte sich Gunter Grobe schon recht früh und weit vor der Wende im Tourismus.
Als dann 1989 die große Freiheit auch über das verschlafene Weimar hereinbrach sattelte er nicht
nur all seine Pferde sondern investierte in historische Fortbewegungsmittel: ob eine ungarische
Wagonette oder ein Linzer, oder ein Schiffslandauer oder ein Modell Victoria - für ihn stand fest:
Kutschen müssen durch Weimar fahren !
Die Jahre bis Weimar 1999 zur Kulturhauptstadt avancierte waren für ihn seine ganz persönlichen
„Glanz- und- Gloria-Zeiten".
Es herrschte Aufbruchstimmung, alles war möglich, man gab sich unkompliziert und freidenkerisch,
sogar in den Behörden der Beamtenstadt.
Keine Rede von Fahrverboten durch den Ilmpark, Böllern, die den Weg versperren, „Falschparkens"
am Pferdehalfter.

„Am Anfang hatten wir noch viele Freiheiten.
Da konnte ich den Leuten noch wirklich alle interessanten Ecken Weimars zeigen".
Sein Gesichtsausdruck verfinstert sich: „ Davon ist heute leider nicht viel geblieben."
Die Einschränkungen seiner Fahrwege machen ihm am meisten zu schaffen: Schillerstraße und The-
aterplatz sind für ihn tabu, nach Tiefurt führen die Wege nur noch über die steile Tiefurter Allee
oder durch die triste Rosenthalstrasse; die frühere bei weitem viel reizvollere Route unterhalb
der Sechsbogenbrücke - für ihn: verboten.
Zum schönen Belvedere geht's nur über die Belvederer Allee, ohne Autoverkehr bestimmt wun-
derschön, mit, ein fragliches Abgas- und Autolärm geschwängertes Vergnügen für Mensch und Tier.
Alternativen gäbe es zur Genüge, immer wieder suchte Gunter Grobe bis heute das Gespräch mit
den zuständigen Behörden.
Manchmal, so sinniert er, kommt er sich vor wie Don Quichotte, der gegen die Windmühlenflügel
kämpft: was Weimar nicht will, das will es nicht.
Schon viele fähige Köpfe haben resigniert und genau aus diesem Grunde der Stadt den Rücken ge-
kehrt, damals schon bei „Jöten" wie auch heute.
Sieht man ihn so auf seinem geliebten Kutschbock sitzen, den roten Schal salopp geschlungen und
ein charmantes Lächeln im Gesicht, könnt man meinen, er habe den schönsten und vor allem ent-
spanntesten Job in dieser Stadt.
Dass sein Arbeitstag punkt 6. 00 Uhr im Stall beginnt und irgendwann zwischen 21.00 und 22.00
Uhr endet, wissen die wenigsten.
Und wer denkt, dass ein Grobe sich dann schlafen legt, der kennt ihn schlecht: Die Nacht ist zum
Lesen da, denn auch die Anekdoten und Anekdötchen rund um Weimars prominentes Völkchen
bedürfen ab und zu der Auffrischung.

Seine Tiere liebt er abgöttisch und liegt auch schon mal im Stall anstatt im Bett um mit heißen
Bauchwickeln der Darmkolik einer seiner Lieblinge zu leibe zu rücken.
Bei 36m Pferdedarm kein leichtes Unterfangen.
Schon oft hat er sich in solchen Nächten gefragt, warum er sich diese Schufterei eigentlich noch an-
tut und nicht einfach wieder in die Gastronomie zurückkehrt.
Aber spätestens dann, wenn strahlende Kinder mit ihm in seiner Kutsche durch das weihnachtliche
Weimar fahren und für ihn am Heiligabend mit leicht zittriger Stimme ein Gedicht aufsagen, weiß
Gunter Grobe, dass er und seine Kutschen hier zu Hause sind - ist er doch nicht nur der schönste
Kutscher von Weimar sondern auch der schönste Weihnachtsmann.
Weimarer paßt auf, dass man ihn euch nicht ausspannt!"

Eure Karla Augusta