Man muß ein Genie erst vom Sockel heben,
um es endgültig auf dem Sockel zu positionieren.
             

Wer, wie war G. ?

Realist oder Idealist,
Nationalist oder Kosmopolit,
Hetero- oder bisexuell ?
Christ oder Eschatologe ?

Sagen wir es doch einfacher :
Er war ein Mensch in seiner eigenen Metamorphose, und so wie der
denkende Freigläubige weit über dem gläubigen Freidenker steht,
steht sein Lebenswerk über allen dogmatischen Religionen dieser Welt.

Es scheinen hierzu ein paar Anmerkungen notwendig, da dieser Genius
leider allzuoft das Leid der mehr oder wenigen starken Verfälschung
erdulden mußte und immer noch erdulden muß.

Ein Heer von hunderten, ja man kann sagen tausenden von Pseudoliteraten
und -kritikern haben immer wieder versucht das Umfeld des Dichters bis
ins Detail zu belichten und zu analysieren, um daraus Rückschlüsse auf
den Schöngeist und das Wirken dieser Ausnahmeerscheinung der Literatur
zu ziehen, ohne darin Erleuchtung zu finden, ohne das Wesen des Dichters
zu treffen.
Selbst für sein unmittelbares Umfeld blieb er größtenteils immer rätselhaft.

All diesen "Sachverständigen" und "Kennern" sei gesagt, Goethe bedarf
keines Urteils von Außenstehenden, der Meister der Lyrik und Poesie erklärt
sich in seine Werken selbst.

So ist Goethe Werther, ist zugleich Faust    u n d    Mephisto, findet sich wieder
als Tasso und im Wilhelm Meister als Lehrling und Wanderer, beschreibt per
sönliches Empfinden in Alexis und Dora, u.v.a. mehr.

Während er in mehrteiligen Werken wie Faust, Wilhelm Meister den ersten
Band jeweils der Eigen-Reflexion innerer Zweifel und seelicher Auseinander-
setzungen widmete, öffnete er in den jeweiligen Folgebänden die Sichteise
seiner Romanhelden, und damit seines Selbst, auf die Außenwelt.

Und w i e war er denn nun wahrhaftig ?
Er war ein geistiger Wanderer zwischen den Welten der Realität und des Glaubens.
Vielfachst belesen und gebildet, vielfachst interessiert und oftmals pedantisch
akribisch tätig;
wie alle menschlichen Individuen seinen Stimmungen, Gesundheitszuständen,
Einstellungen zur Welt, zum religiösem Denken permanent schwankend unterworfen,
immer im Abbild des Kontrastes der Welt mit dem Glauben.
Dies reichte vom künstlerischen Hochempfinden in seinen glücklichen Schaffens-
phasen bis hin zu regelmäßigen Zeiten der Depression und des Mißvergnügens am
Leben, die ihn zeitweise bis an den Rande der eigenen Existenz (Suizidabsicht)
brachten.

Er war diesbezüglich ein ganz normaler Mensch, ein Mensch eben seiner Zeit.

Dem Durchschnittsbürgertum, das er nicht ausdrücklich haßte, brachte er wenig
Neigung und Achtung entgegen, hingegen war seine Ehrerbietung für den gelehrten
Adel allumfassend, und er bereute immer wieder, daß ihm nicht das Privileg einer
adligen Geburt zuteil wurde, war doch der Adel, mit Ausnahmen, in diesem Stadium
des Übergangs vom der Monarchie zur Republik immer noch das Aushängeschild für die
ästhetisch- und kunstgebildete Kaste.
Nur für ihn gelehrt und herausragend geltende Köpfe des Bürgertums wählt er zu
seinem engeren Freundeskreis.

Insbesondere die Damen der Höfe, die über Anmut und Würde verfügten und bei denen
er auf geistiger Ebene in einer reifen Art korrespondieren und ein gewisses Verständnis
erwarten konnte, hatten es ihm angetan und waren der Grund seiner platonischen Liebe
zu ausgewählten höfischen Intellektuellen.
Ja er war der Kaste, der er geburtsbedingt ausgeschlossen war, in mehreren Fällen,
man kann es so ausdrücken, devot.

Natürlich war er über jedes Kompliment des anderen Geschlechts dankbar.
Er war aber kein klassischer Frauenheld und ihm lag auch wenig an Vielweiberei, wie
oftmals fälschlicherweise ihm die Geschichte unterstellen will und unterstellt.
Die Phasen des Verliebtseins, der Treue, der Eifersucht, des Trennungsschmerzes
kannte er alle persönlich; nicht nur ausschließlich im Umgang mit dem anderen
Geschlecht.

Es prägte sich in ihm die Teilung die Frauenbildes in einen praktisch agierenden
Teil, dem auch seine eigene Frau angehörig und einen schöngeistigen, musenhaften
Teil, in den er vor allem auch geistig religiöse Menschen seines Umfeldes
einzuordnen verstand.

Seine ganzes Leben wehrte er sich permanent gegen eine geistig Vereinnahmung
religiöser Institutionen, obwohl er, wenn auch manchmal schwankend und entgegen
seiner scherzhaften Äußerung, er sei ein Ungläubiger, stets wiederkehrend gottes-
fürchtig und -ehrerbietig war.
Er besaß religiös seinen eigenen Freigeist und viele seiner Werke spielen die
inneren Auseinandersetzungen des Dichters mit seinem jeweiligen Glaubenszustand
wieder.

Den einzigen Punkt, den er ausspart, sind jedwede konkrete Äußerungen zu seinen
tatsächlichen sexuellen Neigungen.
Aber selbst hier sind seine Erzählungen, Novellen und vielfältigen anderen schrift-
lichen Einlassungen erklärend, daß ihm auch auf diesem Gebiet nichts verborgen blieb,
und ein jeder der geneigten gebildeten Leser möchte sich selbst daraus seinen eigenen
Reim machen.

Lassen wir also den "Meister" durch seine Werke sprechen, er sagt uns damit alles, was
wir wissen wollen.