Alles ist eitel

Das süße Gift aus Dschem's Becher
sei täglich unser Lab und Trank,
und leeren wir ihn bis zum Grunde
wird unsre Liebe tiefster Dank.

Dank, daß wir dieses Leben schauen,
ZION uns eine Bleibe ist,
so oft wir uns dem Hohen trauen
der Friede unser Hausgast ist.

Vergänglich sind uns Mond und Erde,
Reichtum und Anseh'n in der Welt,
wenn Fleisch wieder zur Asche werde
wird Seelengeist zur Sonn' erhellt.

Dann wird ein Stern - ein neuer Bote -
drum seid befreit von allen Sorgen,
genießt das Leben hier und heute,
ein andrer führt uns zu dem Morgen.

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Hintergrund-Maer:

"Von dem alten Perserkönig Dschem oder Dschemschid (Devces), dessen Namen die morgenländische Sage
ebenso verherrlichend umsponnen hat, wie die abendländische Sage die Namen Kaiser Karl's, wird erzählt,
man habe ihm einst einen Korb voll süßer Weintrauben gebracht, die er, eben zur Jagd gerüstet, in
einem kostbaren Krug aufbewahren ließ, um sie nach seine Rückkehr zu essen.
Seine Jagden dauerten lange, und als er, im Palaste wieder angekommen, nach dem Kruge sah, fand
er statt der Trauben einen gährenden Most darin, von wundersamen Duft und Geschmack.
Er schrieb auf den Krug "Gift" und stellt ihn wieder bei Seite.
Nun begab sich's, daß ein schöne Bewohnerin des Palastes die wegen verschmähter Liebe ihrem Leben
ein Ende machen wollte, den mit "Gift" bezeichneten Krug fand und ihn austrank bis auf die Neige.
Allein statt davon zu sterben, fiel sie in einen tiefen Schlaf, der ihr so wonnige Träume brachte,
daß sie erwachend wieder Lust am Leben gewann, welches dann auch bald ihre Liebeswünsche erfüllte.
Seit der Zeit kam der Rebensaft bei den Persern in wunderthätigen Ruf und wurde "süßes Gift"
(scheri chosch) genannt. König Dschem trank gern von diesem süßen Gift, und seine Kämmerlinge,
Weisen und Schriftgelehrten tranken mit ihm, so daß seine Tafelrunde weit und breit berühmt wurde.
Der König besaß einen goldenen Becher, auf dessen Grund sich alle Geheimnisse des Himmels und der
Erde offenbarten und der samt seiner Besitzer in der persischen Poesie eine große Rolle spielt."
(Aus Anmerkungen von Friedrich Bodenstedt in "Der Sänger von Schiras", Berlin 1880)

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